„Ich habe mich heute als Mensch weitergebildet."

Brandenburger Lehrkräfte aus dem Projekt „Vielfalt entfalten" im Austausch zu Klassismus und Rassismus

Klassismus und Rassismus sind zwei Formen von Diskriminierung im Bildungssystem. Diese waren Schwerpunktthema des Netzwerktreffens von „Vielfalt entfalten“ Brandenburg, mit denen sich die Teilnehmenden einmal genauer auseinandersetzten – und dabei auch die eigenen Erfahrungen beleuchteten. Darüber hinaus wurden die Ergebnisse der Evaluation mit Spannung erwartet, die die erste Befragung unter den projektbeteiligten Schulen ergeben hat. Ein Bericht über einen Tag, der viele(s) bewegt hat.


Die Schulteams erhalten beim Netzwerktreffen die Möglichkeit, sich ihren Entwicklungsvorhaben zu widmen.
Die Schulteams erhalten beim Netzwerktreffen die Möglichkeit, sich ihren Entwicklungsvorhaben zu widmen.

Von Fabian Kress

„Welche Hürden und Diskriminierungen erleben von Rassismus betroffene Menschen?“, „Was genau bedeutet Klassismus?“ und „Wie sieht es eigentlich in unserer eigenen Schule aus?“ Diese und zahlreiche weitere Fragen beschäftigten die Teilnehmer:innen an einem frühsommerlichen Maitag. Beim vierten Netzwerktreffen des Projekts „Vielfalt entfalten – Gemeinsam für starke Schulen“ nahmen die Fachkräfte aus vier Brandenburger Lehreinrichtungen verschiedene Formen der Diskriminierung genauer in Augenschein. Nach den langen Monaten des Lockdowns, geprägt von digitalen Veranstaltungen, wurde schnell deutlich, dass insbesondere bei Diskussionen rund um so komplexe Themen Treffen im Hier und Jetzt noch ergiebiger sind. 

Den Auftakt machte Julian Knop. Der freiberufliche Trainer, Mediator und Autor arbeitet unter anderem zu den Themen Demokratie- und Vielfaltspädagogik sowie Prekäre Arbeit, vor allem im Bildungssektor. Sein Vortrag „Klassismus – Diskriminierung im Bildungssystem“ widmete sich wichtigen Fragen zum Begriff selbst und zu dessen Relevanz an Schulen. Dem Experten ging es in seinem Impulsvortrag weniger um statistische Zahlen, als um das, was sie persönlich mit uns machen.  

Wie lassen sich die neuen Erkenntnisse im eigenen Schulalltag nutzen und anwenden? Darüber tauschen sich die Schulteams gemeinsam aus.
Wie lassen sich die neuen Erkenntnisse im eigenen Schulalltag nutzen und anwenden? Darüber tauschen sich die Schulteams gemeinsam aus.

Klasse ist ein Thema in Schule

Zusammengefasst gibt es eine ganze Reihe an Faktoren, vor allem äußere Rahmenbedingungen, die Klasse zu einem Thema in der Schule machen – und die spätere Schulwahl beeinflussen. Dazu gehört die eigene Herkunft ebenso wie das Vertrauen in die eigenen Leistungen. Lehrkräfte sind nicht frei von Erwartungen oder Urteilsverzerrungen, die mit der Herkunft assoziiert werden. Schüler:innen werden überdies durch sogenannte Akkulturationsleistungen gestresst, kurz: Belastungen durch Anpassung. 

Geradezu alarmierend ist der Befund, dass Schulen in sozioökonomisch ohnehin schon benachteiligten Lagen nachweislich die höchsten Ausfallquoten und die geringste Unterrichtsabdeckung vorweisen. Kurzum: Diejenigen, die am meisten Unterstützung nötig hätten, um herkunftsbedingte Benachteiligungen ausgleichen zu können, erhalten nicht mehr, sondern weniger Unterricht. 

Im Anschluss hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, sich mit ihren Schulkolleg:innen darüber auszutauschen, was das Gehörte mit ihrer Schule zu tun hat. Beispielhafte Kommentare wie: „Ach, da hatte ich den Vater schon in der Schule“ oder „Voreingenommenheit gegenüber Schüler:innen aus Heimen“ zeigen, wie alltäglich es ist, mit klassistischer Denkweise konfrontiert zu sein. Reflektion ist auch hier der erste Schritt zur Besserung – ganz konkret: der Reflektion den Raum zu geben, der im fordernden Schulalltag oft fehlt.

Evaluation: Die Kurve zeigt nach oben

Nach der Mittagspause schlugen Dorte Schaffranke und Moritz Fedkenheuer von der Werkstatt „Camino“ einen Bogen, indem sie erste Ergebnisse einer Evaluation von Befragungen der Netzwerkteilnehmer:innen präsentierten. Dabei ging es auch um Selbsteinschätzungen auf dem Weg zu einer diversitätssensiblen Schulentwicklung.  Anzumerken ist, dass einige Schulen erst seit Kurzem zum Projekt gestoßen sind, andere seit Beginn 2019 dabei sind. Vielfach fehlt es an Wissen zu praktischen Tools oder der vollen Unterstützung durch die Kollegien. Auch ist bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen, etwa Meldestellen oder Beauftragte, noch Luft nach oben. Zwei Zahlen beeindrucken indes: 96 Prozent der Befragten finden, dass Diversität ein Thema ist, das alle Schulbereiche betreffe. Und 80 Prozent regen ihre Schüler:innen aktiv an, über Vorurteile nachzudenken.

Auch hier hatten die Schulteams im Anschluss die Gelegenheit, aus den Ergebnissen eigene Erkenntnisse abzuleiten. Es zeigte sich unter anderem in persönlichen Gesprächen, dass der Entwicklungsstand von Schule zu Schule unterschiedlich ist. Aber auch, wie stark der Erfolg solcher – eigentlich institutionell erforderlichen – Vorhaben immer noch von motivierten und kompetenten Einzelpersonen abhängt. So etwa hat das Schulzentrum am Friedensplatz in Neutrebbin eine neue Kollegin, die den Prozess entscheidend nach vorne treibt. „Unsere neue Kollegin lebt Vielfalt aktiv vor“, berichtete Maria Bestritzki, die Schulsozialarbeiterin. „Sie hat zum Beispiel das Lehrwerk in Deutsch ausgetauscht. Jetzt geht es nicht mehr nur um Dennis und Maria oder Vater, Mutter, Kind. Im neuen Lehrwerk werden auch Regenbogenfamilien oder Frauen mit Kopftüchern gezeigt.“ Die neue Lehrkraft habe sich auch bereit erklärt, Diversitätsbeauftragte zu werden. Vom Kollegium habe sie dafür viel Wertschätzung und positive Resonanz erfahren.  

Erste konkrete Schritte beflügeln

Von guten Erfahrungen erzählte auch Tatjana Liebach-Schultz, Schulleiterin an der Grundschule Borgsdorf. „Wir sind ein sich derzeit verjüngendes Kollegium und brauchten ein neues Profil. Eine Kollegin brachte uns dann auf ,Vielfalt entfalten‘ – für uns ein Glücksfall. Wir hatten eine tolle Beratung durch das DKJS-Team und gehen bereits erste konkrete Schritte. Das beflügelt uns.“  

Das Team der Oberschule Lehnitz nimmt seit einem Jahr am Programm teil. Auch dort freut man sich über die Unterstützung. Die Schule erhalte bei ihrer Selbstfindung wichtige Impulse, die dazu beitragen, dass die eigene Perspektive geschärft werden kann. So wurde das Kollegium ermutigt, einfach einmal einen ganzen pädagogischen Tag einzuplanen und über Perspektiven und Erwartungen zu sprechen. Befragt nach Wünschen für die Zukunft, antwortete eine Lehrerin der Schule: „Für uns als ganz junge Schule ist Vernetzung besonders wichtig. Ein noch engerer Austausch würde uns sicher helfen, von anderen mehr zu lernen.“ 

Veranstaltungsort des Netzwerktreffens war das Harnack-Haus in Berlin-Dahlem.
Veranstaltungsort des Netzwerktreffens war das Harnack-Haus in Berlin-Dahlem.

Workshops und Gruppendiskussionen

Das Tagesprogramm rundeten zwei Workshops zu Klassismus und Rassismus ab, die Julian Knop und Aretha Schwarzbach-Apithy durchführten. Der Coach widmete sich der Analyse von (klassistischen) Schulrealitäten und der Identifikation von Handlungsfeldern. Bei der Bildungsexpertin standen ebenfalls Klassismus und Rassimus im Fokus, ebenso die intersektionale Perspektive aus Diskriminierungen. Eine dritte Gruppe hatte sich zudem mit dem Camino-Team zu einer vertiefenden Diskussion zusammengefunden und erhielt dabei auch Einblicke von Nadine Lange vom DKJS-Programm „LiGa – Lernen im Ganztag“ zum Themenfeld datengestützte Schulentwicklung. 

Am Abend kamen alle noch einmal zu einem „Blitzlicht“-Feedback zusammen. Eine Teilnehmerin drückte ihre Eindrücke mit den Worten aus: „Ich habe mich heute als Mensch weitergebildet, das wird auch auf meine Arbeit als Lehrkraft abstrahlen“ – und schien damit gleich mehreren aus der Seele zu sprechen.

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