Anti-Schwarzer Rassismus im Schulkontext

Vielfalt im Gespräch mit Joshua Kwesi Aikins

Am 27. September begrüßten wir den Politologen, Menschenrechtsaktivisten und Co-Autor des Afrozensus Joshua Kwesi Aikins in unserem Talk-Format „Vielfalt im Gespräch”. Wir sprachen mit ihm über Anti-Schwarzen Rassismus und dessen vielfältige Verschränkungen mit anderen Formen von Diskriminierungen im Schulkontext


In der Antidiskriminierungsarbeit und -forschung etabliert sich zunehmend der Standard, von Rassismen im Plural zu sprechen und die unterschiedlichen Zuschreibungen für einzelne Gruppen konkret in den Blick zu nehmen. Zu jenen Gruppen zählen beispielsweise Schwarze Menschen, muslimisch oder asiatischer gelesene Menschen, Sinti:zze und Rom:nja sowie Jüd:innen. Ziel der Betrachtung ist es, die Dynamiken besser zu verstehen, Empowerment-Angebote zielgruppengerecht zu gestalten und letztlich rassistische Strukturen gezielt abbauen zu können. Vor diesem Hintergrund nahmen wir in der Ausgabe von "Vielfalt im Gespräch” die spezifischen Muster in den Blick, die Schwarze Schüler:innen, Lehrer:innen, Eltern und Sozialpädagog:innen bezogen auf den Schulkontext erleben.  

Der Afrozensus

Die spezifischen Erfahrungen von Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen im Bildungssystem sind von schablonenhaften, institutionell eingebetteten Menschenrechtverletzungen gekennzeichnet. Der UN-Antirassismus-Ausschuss stellt fest: Menschen afrikanischer Herkunft sind disproportional von Diskriminierung betroffen. Die Studie Afrozensus, eine Arbeit von Each One Teach One (EOTO) e.V. und Citizens For Europe (CFE), identifiziert Muster des Anti-Schwarzen Rassismus im deutschen Schulsystem: Mehr als die Hälfte der dazu befragten Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Kinder und Jugendlichen haben in der Schule gesagt bekommen, lieber eine Ausbildung zu absolvieren oder einen Beruf im Bereich Sport und Entertainment zu ergreifen, anstatt das Abitur abzulegen oder ein Studium zu beginnen. Gleiche Leistungen werden ungleich benotet. Im Schulalltag verschränken und verstärken sich unterschiedliche Quellen von Anti-Schwarzem Rassismus gegenseitig: eurozentrische und rassistische Lehrmaterialien, rassistische Äußerungen von Lehrpersonal und von Mitschüler:innen verschärfen und legitimieren sich dabei wechselseitig.

Das moderierte Gespräch mit Joshua Kwesi Aikins bot die Möglichkeit, Anti-Schwarzen Rassismus (ASR) und dessen vielfältige Verschränkungen mit anderen Formen von Diskriminierung besser zu verstehen. Dabei ging es unter anderem um folgende Fragen: Welchen Einfluss haben Alter und geschlechtliche Identität von Schüler:innen auf Zuschreibungen? Wodurch entstehen falsche Annahmen über Eigenständigkeit, Sachlichkeit, Konfliktlösungsfähigkeit und Intelligenz Schwarzer Kinder? Wie können diese erkannt und abgebaut werden, um gleiche Bildungschancen für alle Kinder zu schaffen? Wie kommt es zu Pathologisierung und Täter-Opfer-Umkehr im Kontext von ASR im Bildungssystem? Und was braucht das System Schule, um diese Dynamiken zu durchbrechen?

Im Rahmen seines Impulses sprach Joshua Kwesi Aikins folgende Empfehlungen aus, um die Dynamiken von ASR zu verstehen, zu durchbrechen und abzubauen:

  • Etablierung und Unterstützung selbstbestimmter Räume für den Austausch unter Schwarzen Schüler:innen
  • Sicherstellung einer professionellen Bearbeitung von Diskriminierungen unter Berücksichtigung der Spezifik von ASR im Bildungssystem und insbesondere in Schulen auf Kommunal- und Landesebene
  • Überprüfung und Überarbeitung von Lern- und Lehrmaterial, Curricula und Rahmenplänen 
  • Nutzung von Bildungsressourcen und Unterrichtseinheiten aus Schwarzer Perspektive zur Schaffung von inklusiven Bildungsangeboten und -erfahrungen 
  • Einrichtung sanktionsbewährter, unabhängiger Beschwerdestellen für den Bildungsbereich 
  • Einführung von Landesantidiskriminierungsgesetzen, die explizit auch Diskriminierung in der Schule abdecken und ein Verbandsklagerecht ermöglichen 

Das Gespräch am 27. September wurde aufgezeichnet. Nachfolgend finden Sie den Impuls von Joshua Kwesi Aikins.


©Tania Castellví
©Tania Castellví

Über den Referenten:

Joshua Kwesi Aikins ist Co-Autor des Afrozensus, Politologe und Menschenrechtsaktivist. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Kassel sowie Senior Researcher des Berliner Think Tanks Citizens for Europe. Er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin und der University of Ghana. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Zusammenwirken westlicher und indigener politischer Systeme in Ghana, Entwicklungspolitik aus dekolonialer Perspektive, kulturelle und politische Repräsentation der afrikanischen Diaspora, Kolonialität und Erinnerungspolitik in Deutschland sowie differenzierte Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdatenerhebung.


Weiterführende Literatur zum Thema Anti-Schwarzer Rassismus

Publikation:

Schwarze Erfahrungen im Bildungswesen: Diskriminierung, Resilienz und Empowerment

Aikins, Muna AnNisa; Bremberger, Teresa; Aikins, Joshua Kwesi; Gyamerah, Daniel; Yıldırım-Caliman, Deniz (2021)Toan Quoc Nguyen, 2020, In: Afrozensus 2020: Perspektiven, Anti-Schwarze Rassismuserfahrungen und Engagement Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen in Deutschland, Berlin; S.166-205

Das Kapitel präsentiert, erläutert und kontextualisiert die umfangreichen Ergebnisse des Afrozensus – der ersten umfassenden Studie zu Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Lebensrealitäten in Deutschland – für den Bereich Bildung. Dabei führen die Autor:innen umfassend in Grundmuster, Dynamiken, Ausprägungen von Anti-Schwarzem Rassismus (ASR) im Bildungssystem mit Schwerpunkt Schule ein und beschreiben Folgen von sowie Strategien zum Umgang mit ASR

Hintergrundpapier:

Der schulische Erfolg Schwarzer Schülerinnen und Schüler in Deutschland – Eine rassismuskritische Analyse des Mikrozensus

Daniel Gyamerah, Hintergrundpapier zum Parallelbericht an den UNAntirassismusausschuss zum 19.-22. Bericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung

Der Autor analysiert rassistische Diskriminierung gegenüber Afrikaner:innen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland besonders von diskriminierungsfreier Bildung abhängig sind, da sie das geringste Durchschnittsalter aufweisen (29,1 Jahre). Das Papier baut auf einem dreidimensionalen Verständnis von Rassismus auf – als Ideologie, Struktur und Prozess. Es entwickelt ein theoretisches Modell, das die komplexen Mechanismen darstellt, die Schwarze Schüler:innen daran hindern können, ihr Potential im deutschen Schulsystem zu entfalten.

Leitfaden:

Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora

Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden, Hrsg: Projekt Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel (LEO) beim Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Mitte von Berlin und Elina Marmer

Der Leitfaden stellt eine Diskrepanz zwischen dem Bildungsauftrag der Schule – die vollständige gesellschaftliche Teilhabe und selbstbestimmte Lebensgestaltung zu gewährleisten – und den tatsächlichen schulischen Bildungsinhalten fest. Daraus leiten die Autor:innen die notwendige Maßnahme ab, vorhandener Lehr- und Lernmittel nach rassismuskritischen und diversitätsorientierten Kriterien zu überprüfen sowie neues didaktischem Material zu erarbeiten.

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