Noch immer zeigt sich: Wer eine Bildungslaufbahn erfolgreich absolvieren möchte, benötigt eine gewisse finanzielle, soziale und kulturelle Ausstattung. Diese als selbstverständlich vorausgesetzte Ausstattung wird in der Bildungssoziologie als finanzielles, soziales und kulturelles Kapital bezeichnet. Wie Schüler:innen in dieser Hinsicht ausgestattet sind, hängt jedoch maßgeblich von der Familie ab, in der sie aufwachsen. Am 23. Mai 2023 haben wir mit der Bildungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin Anita Meyer über armutssensibles Handeln in der Schule gesprochen. Im Rahmen unseres digitalen Talk-Formats „Vielfalt im Gespräch“ gab die Referentin praxisnahe Impulse für die (Neu-)Gestaltung von Lernangeboten, die Partizipation für alle Kinder und Jugendlichen ermöglichen sollen.
Armut hat viele Facetten, ist vielschichtig und komplex. Wie Anita Meyer in ihrem Impuls betont, ist Armut mehr als nur der Mangel an Geld: Sie ist ein prägender Faktor sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft und beraubt Menschen ihrer materiellen Unabhängigkeit und damit auch der Fähigkeit, über ihr Leben zu entscheiden. Schaut man in die Schulgesetze, so die Referentin weiter, wird deutlich, dass es die Aufgabe von Schule ist, die verschiedenen Lebensrealitäten der Schüler:innen zu berücksichtigen. Es bedeutet, Barrieren zu erkennen und zu beseitigen – und armutsbetroffene Schüler:innen zu unterstützen und begleiten.
Armutssensibles Handeln, so die Referentin, bedeutet, feinfühlig und achtsam zu sein – hinsichtlich der verschiedenen Lebenslagen und Lebenswirklichkeiten, Bedürfnisse und Bedarfe, aber auch der Ressourcen und Bewältigungsstrategien. Dafür braucht es kind- und jugendbezogene Strukturen an Schulen. Denn armutssensibles Handeln verlangt ein Umdenken vom Kind und Jugendlichen aus. Pädagogischen Fach- und Lehrkräften komme dabei eine wichtige Schlüsselrolle zu, wie Anita Meyer betont. Denn sie sind zentrale Bezugspersonen und Rollenvorbilder.
Teilhabe ist die Voraussetzung, um Lernen zu ermöglichen. Laut Referentin bedeutet das dreierlei:
⇒ Teil sein: Ich bin willkommen. Ich werde wahrgenommen. Ich finde mich & meine Lebenswelt hier wieder. ⇒ Teil haben: Ich habe Zugang zu allen Angeboten. Ich werde mitgedacht. Ich bin mittendrin ⇒ Teil geben: Ich kann etwas beitragen. Ich werde ernst- und angenommen. Ich darf mitdenken und mitgestalten.
Armutssensibles Handeln umfasst die gegenseitige Wertschätzung, Achtung und Anerkennung aller Person, wie auch deren erbrachte Leistungen und Beiträge. Es umfasst die Art und Weise der Kommunikation, die Unterrichtsqualität und auch den Umfang an Aufmerksamkeit, Zuwendung und Unterstützung für den oder die Einzelne:n. Wichtige Voraussetzungen für Armutssensibles Handeln seien laut Referentin folgende Aspekte:
Aneignug von Kontextwissen
Reflektion der eigenen Rolle im (Schul-)Geschehen
Stärkung der Schüler:innen
Etablierung eines guten Klassenklimas
Zusammenarbeit mit den Eltern auf Augenhöhe
Schule als Institution mit Zugangsmöglichkeiten nutzen
In ihrem Impuls gibt die Referentin den Teilnehmenden außerdem sechs Kriterien an die Hand, mit denen armutssensibles Handeln an Schule gelingen kann:
Der Impuls von Anita Meyer wurde aufgezeichnet und stehe Ihnen nachfolgend zur Verfügung.
Die Bildungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin Anita Meyer arbeitet als Prozessbegleiterin für Kommunen zur Umsetzung von armutssensiblen Maßnahmen und ist Trainerin für Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte im Themenfeld Inklusion. Darüber hinaus war sie tätig als Lehrbeauftragte und wissenschaftliche Referentin für Armutsforschung, empirische Sozialforschung sowie Bildungs- & Evaluationsforschung. Im November 2022 publizierte sie eine Reihe von Handreichungen zu armutssensiblem Handeln als Beitrag zur Gesundheitsförderung für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II.