Sprache und sprachliche Praxis beeinflussen das soziale Miteinander in Schulen. Bestimmte Sprachen sind dabei oft hörbarer und manchmal sogar erwünschter als andere. Schüler:innen bringen jedoch eine Vielfalt an Sprachkenntnissen mit in den Unterricht, die sich als wertvolle Ressource nutzen lässt. Wie wirkt sich Mehrsprachigkeit auf das Lehren und Lernen aus? Wie kann ein sprachsensibler Unterricht gestaltet werden, in dem Mehrsprachigkeit anerkannt und vielfältige sprachliche Identitäten gestärkt werden? Welche konkreten Handlungsmöglichkeiten bestehen?
Die vierte Veranstaltung des Formats #moinVIELFALT widmete sich dem Thema „Mehrsprachigkeit“. Aslı Can Ayten, Expertin für Mehrsprachigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal, führte die Teilnehmenden in die Besonderheit von Mehrsprachigkeit, ihre Auswirkungen auf das Lehren und Lernen sowie die Idee des „Nicht:Verstehens“ als Unterrichtsmethode ein. Der Austauschraum wurde dabei unter anderem genutzt, um Reflexionsprozesse bezüglich der eigenen Sprachrepertoires anzuregen.
Zu Beginn der Veranstaltung bat die Referentin die Teilnehmenden, in Stillarbeit und ausgehend von dem Satz „Ich bin Ganz“ einfach „drauf los“ zu schreiben und jegliche Gedanken, die ihnen in den Sinn kamen, unter Verwendung all ihrer (Fremd-)Sprachkompetenzen zu Papier zu bringen. Dann kontextualisierte sie das Vorgehen, indem sie zunächst die Aussage einer Schülerin ‘Grenzen in Sprachen zerteilen mich. Ich bin mit [all] meinen Sprachen ganz. ’ präsentierte und anschließend fragte: „Haben Sprachen tatsächlich Grenzen? Oder sind sie künstliche Grenzen, die wir ziehen? Wie gehen mehrsprachige Personen mit Sprache(n) um?“
Hier führt die Referentin den Begriff des „Translanguaging“ ein, der sich ebenfalls auf zwei Ebenen verorten lässt: Einerseits ist Sprachhandeln fluide und vollzieht sich zwischen bewegten „Grenzen“. Dies lässt sich im Alltag von mehrsprachigen Menschen hören, der sich ausgehend von der Frage „Wie schaffe ich es, mich verständlich zu machen?“ vollzieht. Andererseits kann Translanguaging als pädagogische Haltung und Konzept verstanden werden, das darauf abzielt, Schüler:innen mit ihrem gesamten Sprachrepertoires in Schulen anzuerkennen und Möglichkeiten zu bieten, auch in diesem Repertoire zu lernen.
Mehrsprachigkeit lässt sich in zwei Dimensionen einteilen. Die Innere Mehrsprachigkeit meint dabei die Mehrsprachigkeit innerhalb einer einzelnen Sprache. So hat jede Sprache verschiedene Register wie Bildungs- oder Familiensprachen. Die Äußere Mehrsprachigkeit bezieht sich auf die Mehrsprachigkeit innerhalb einer Person. So kann eine Person mehrere Sprachen „leben“. Beide Dimensionen sind miteinander verwoben und formieren ein spezifisches „Sprachenrepertoire“. Welcher sprachlichen Register sich bedient wird, ist dabei in hohem Maße kontextgebunden und Ergebnis eines aktiven Aushandlungsprozesses.
Wie kann Mehrsprachigkeit im Unterricht Raum gegeben werden? Ayten schlägt dazu eine Professionalisierung hin zu „Räumen des Nicht-Verstehens“ vor. Dahinter steckt die Idee, dass die Öffnung des Unterrichts für Mehrsprachigkeit stets Räume des gegenseitigen „Nicht-Verstehens“ beinhaltet. Dabei gilt zu beachten, dass Translanguaging meistens keinen Raum in Schulen findet und mehrsprachige Schüler:innen oft gelernt haben, misstrauisch bzgl. der Verwendung ihres gesamten Sprachrepertoires zu sein. Die Anerkennung und Wertschätzung von Sprachrepertoires erfordert deshalb Ermutigung, dass es in Ordnung ist, wenn nicht immer alle Anwesenden alles verstehen. Solche Räume des „Nicht-:Verstehens“ ermöglichen, dass sich Mitschüler:innen in ihrer Gesamtsprachlichkeit besser kennen lernen sowie eine Verbesserung von Sprachbewusstsein und -wahrnehmung eintritt. Letzteres ist eine zentrale Gelingensbedingung für das Erlenen von Sprache. Somit stellt „Nicht-Verstehen“ für alle Schüler:innen einen einzigartigen Lernraum hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung und Handlungsbefähigung dar. „Es ist eine Kompetenz, sich darauf einzulassen, auch mal nicht zu verstehen. Und es ist Normalität.“, so die Referentin. Darauf muss sich vor allem. die Lehrkraft einlassen und in einer Vorbildfunktion zeigen können, dass auch sie selbst nicht immer alles verstehen kann –und dass das in Ordnung ist. Gegenseitiges Verstehen hingegen kann auch über die Beziehungsebene oder die gemeinsamen Lerninhalte geschaffen werden. Denn: „Wo es Räume des Ausschlusses gibt, wird es auch immer Räume des Einschließens geben.“
Schließlich erläuterte die Referentin Begründungen für die Notwendigkeit von Räumen des Lernens in vielen Sprachen:
Der Vortrag von Aslı Ayten wurde aufgezeichnet und steht Ihnen nebenstehend zur Verfügung.
Über die Referentin:
Aslı Can Ayten ist Projektmitarbeiterin im Fachbereich „Mehrsprachigkeit in der Schule“ an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihre Interessen- und Forschungsschwerpunkte sind die Lehre herkunftssprachlichen Unterrichts, KOALA (Koordinierte zweisprachige Alphabetisierung im Anfangsunterricht), Translanguaging, Lehrer:innenbildung und Sprachbildung. Sie war außerdem selbst als Kursleitung von Alphabetisierungs- und Sprachkursen (Fachklinik Fredeburg), als Herkunftssprachenlehrerin für Türkisch (Schulamt der Stadt Duisburg) sowie als Abgeordnete Lehrkraft für besondere Aufgaben mit den Schwerpunktthemen Spracherwerb, Identitätsentwicklung, Postcolonial Studies, Gesellschaftlicher Wandel, Herkunftssprachlicher Unterricht, Mehrsprachiges Lernen und Lehren sowie Bildung und Migration (Westfälische Wilhelms-Universität) tätig. Ayten ist zudem Koordinatorin für interkulturelle Schulentwicklung (Konrad Adenauer Stiftung)
Aslı Can Ayten, Bergische Universität Wuppertal
Methoden für Sprachenübergreifendes Lernen mit Einbezug weiterer Sprachen neben der Unterrichtssprache
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von Magdalena Knappik und Aslı Can Ayten; In: K. Fereidooni & N. Simon (Hrsg.). Rassismuskritische Fachdidaktiken. Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse. Wiesbaden: Springer Fachmedien GmbH.
Die Ungleichmachung von Sprachen ist historisch und gegenwärtig eng verbunden mit der Rassialisierung und Hierarchisierung ihrer Sprecher:innen. Der Beitrag zeichnet die Parallelität und Verwobenheit des linguistischen Klassifkations- und Hierarchisierungsprozesses von Sprachen mit der Klassifkation und Hierarchisierung von Menschen im Rassismus als Teil wissenschaftlicher und kolonialer Wissensproduktion im 18. und 19. Jahrhundert nach. Weiterhin geht er auf Kontinuitäten dieses Wissens im 20. und 21. Jahrhundert, etwa als Grundlage nach wie vor vorhandener Unterschiede im Prestige von Sprachen sowie von Sprachverboten, ein. Der Beitrag entwirft einen zweistufgen Unterrichtsvorschlag, der Schüler:innen zur Auseinandersetzung mit der Frage auffordert, wie und warum (ihre) Sprachen ungleich gemacht werden (geeignet für die Sekundarstufe 1) und wurden (geeignet für die Sekundarstufe 2).
Zentrum polis - Politik lernen in der Schule
In einer kreativen Auseinandersetzung beschäftigen sich die SchülerInnen mit dem Thema Sprachen. Sie gewinnen dadurch ein Bild, wieviele Sprachen in ihrem eigenen Leben eine Rolle spielen und welche Bedeutung Sprachen haben.
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