Studie zu Alltagsrassismus:

Wie Kinder und Jugendlich Rassismus erfahren

Unter dem Titel „Wenn du mich noch einmal braune Schokolade nennst“, hat das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) des Bayerischen Rundfunks eine Studie veröffentlicht. Darin wurden Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 19 Jahren nach ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismen befragt.


© Maya Götz

In Deutschland leben rund 5,3 Millionen Kinder unter 18 Jahren mit einer Migrationsgeschichte – das sind 39 Prozent.1 Diese Zahl macht einmal mehr deutlich, wie divers die Gesellschaft in Deutschland ist. Und doch sind viele Menschen, darunter auch Kinder und Jugendliche, Alltagsrassismen ausgesetzt. Wie insbesondere Kinder und Jugendliche diese erleben, zeigt die Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk. 1.461 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 19 Jahren wurden dabei einer repräsentativen Stichprobe nach ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismen gefragt. Für ein tiefergehendes Verständnis wurden zudem 22 Fallstudien von Kindern zwischen 6 und 12 Jahren erhoben. Begleitet werden die Ergebnisse von kurzen Erklärungen, wie Vorurteile und Stereotype im Kindes- und Erwachsenenalter entstehen, mit Verweisen auf die entsprechende weiterführende Literatur.

Formen und Empfinden von Alltagsrassismus 

Laut der Studie nimmt die Erfahrung von Alltagsrassismus mit dem Alter zu. Vor allem Witzen und Vorurteile über das “Herkunftsland”, aber auch Bemerkungen wie “Du kannst aber gut Deutsch sprechen” zählen laut Studie zu den häufigsten Alltagsrassismen, denen Kindern ausgesetzt sind. Davon betroffen sind laut Studie 7 von 10 Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund – sowie alle Kinder und Jugendliche mit dunkler Hautfarbe. 

In der Studie gaben 9 von 10 Kindern und Jugendlichen mit dunkler Hautfarbe außerdem an, dass ihnen die Frage “Wohnst du schon immer in Deutschland” unangenehm sei. Das gilt auch für die Aussage “Du sprichst aber gut Deutsch”, die 8 von 10 Kindern und Jugendlichen mit dunkler Hautfarbe als unangenehm wahrgenommen wird. Und: 94 Prozent der befragten Kinder und Jugendliche mit dunkler Hautfarbe haben laut Studie das Gefühl, als „fremd“, „ausländisch“ oder „anders“ wahrgenommen zu werden. Als Gründe für Ausgrenzung nannten die Befragten den Namen, die Hautfarbe und Haarstruktur, aber auch den Akzent und die Kleidung.

Wie sich Vorurteile bei Kindern und Jugendlichen entwickeln 

Nicht erst im Erwachsenenalter bilden Menschen Vorurteile. Bereits bei Kindern im Vorschulalter treten Vorurteile und Bewertungsunterschiede zwischen der eigenen und fremden sozialen Gruppe auf. In einer Metaanalyse von 121 Querschnittsstudien kommen Raabe & Beelmann (2011) zu dem Ergebnis, dass ein signifikanter Anstieg von Vorurteilen bei Kindern einen Höhepunkt zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr erreicht. Somit ist die mittlere Kindheit die entscheidende Phase, was die Ausbildung von Vorurteilen betrifft. Anschließend nehmen diese aufgrund der bis dahin entwickelten sozio-kognitiven Fähigkeiten wieder ab. 

Wichtig zu beachten sei jedoch, dass diese Ergebnisse nur auf Kinder der Mehrheitsgesellschaft zutreffen. All jene Kinder, die einer sozialen Minderheit angehören, haben gegenüber der sozialen Majorität zunächst keine Vorurteile – sondern oft sogar eine positive Einstellung. Als Folge erfahrener Benachteiligung entstehen Vorurteile bei jenen Kindern erst später, die sich jedoch wesentlich hartnäckiger halten können als bei Kindern mit einem höheren sozialen Status.2   

Empowerment als Erziehungsaufgabe 

Rassismuserfahrungen stellen eine wiederkehrende Verletzung des Selbstwerts einer Person dar. Vor diesem Hintergrund haben Eltern von Kindern und Jugendlichen, die von Rassismus betroffen sind, die Aufgabe, den Selbstwert ihres Kindes zu schützen. Eine „empowernde“ Sozialisation durch die Erziehungsberechtigten ist von großer Relevanz, um den Stress des Kindes zu begrenzen – so die Untersuchungen von Nkechi Madubuko.3 Die Erziehungsberechtigten müssten ihren Kindern dabei helfen, einen inneren Schutzraum sowie Selbstbewusstsein und Stolz zu entwickeln. Durch die Vermittlung von positiven Kenntnissen über die Herkunftskultur können Kinder sich selbst unabhängig von der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft sehen. Durch die Thematisierung von Rassismuserfahrung in der Familie und Konsequenzen aus dem Erlebten wird dem Kind außerdem signalisiert, dass Diskriminierung nicht ungestraft stattfinden darf. 

Auch gilt es, einen äußeren Schutzraum schaffen – durch ein Umfeld, in dem das Kind akzeptiert wird. Freundschaftliche Kontakte zu Kindern ohne Migrationshintergrund sind wünschenswert. Aufbauend auf einem positiven Selbstwert sollten Kinder mit Ressourcen ausgestattet werden, die sie zur Gegenwehr, zur kritischen Distanz ausgrenzender Erfahrungen und zur Abkehr der Opferrolle bemächtigen. 


1 Vgl. Statistisches Bundesamt (2020). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2019 

2 Raabe, Tobias & Beelmann, Andreas (2011). Development of ethnic, racial, and national prejudice in childhood and adolescence: a multinational meta-analysis of age differences. Child Development, 82(6), S. 1729 

3 Madubuko, Nkechi. (2017). „Empowerment als Erziehungsaufgabe: Verarbeitungsstrategien gegen Rassismuserfahrungen von binationalen Kindern und Jugendlichen. In K. Fereidooni & M. El (Hrsg.), Rassismuskritik und Widerstandsformen (S. 797-815). Wiesbaden: Springer Fachmedien. 

 

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