Empowerment

Geschütztere Räume in Schule gestalten

Wie Schüler:innen mit Rassismuserfahrungen gestärkt werden können
In ihrem Schulalltag sind Schwarze Schüler:innen und solche mit Migrations- oder Fluchterfahrung1 häufig mit Alltagsrassismus konfrontiert, der in seiner Beständigkeit sehr verletzend ist. Bereits ab dem Kindesalter bedroht er Schüler:innen in ihrem Selbstwertgefühl und ihrem Selbstkonzept. Dieser Beitrag stellt geschütztere Räume2 als eine Möglichkeit des Empowerments vor, mit deren Hilfe Schulen dazu beitragen können, das Selbstbild der betroffenen Schüler:innen positiv zu stärken. Der Beitrag bezieht sich vor allem auf das Konzept geschütztere Räume von Nkechi Madubuko.

Das Konzept des Empowerments (engl. (Selbst-)Ermächtigung) zielt darauf ab, marginalisierten, stigmatisierten und diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft Möglichkeiten der Teilhabe und Gestaltung zu eröffnen3. Ein Teil des Empowerment-Prozesses ist, dass Betroffene in geschützten Räumen unter sich sein können. Auch in Schulen ist dies ein wichtiger Ort für von Rassismus betroffene Schüler:innen, die in ihrem Alltag wiederkehrend mit negativen Zuschreibungen konfrontiert sind. Diese beziehen sich oft auf ihr Aussehen, ihre Herkunft oder ihre (zugeschriebene) Religion (v. a. Islam, Judentum). Neben offensichtlichen rassistischen Beleidigungen sind es oft die sogenannten Mikroaggressionen – ein kurzer Spruch, eine Polizeikontrolle, die Frage nach der Herkunft – die dazu führen können, dass sich Schüler:innen dauerhaft psychisch belastet und ausgegrenzt fühlen. Das hat Einfluss auf den Glauben an die eigenen Stärken und Fähigkeiten dieser jungen Menschen und damit auch auf ihren Lernerfolg.

Die genannten Räume bieten die Möglichkeit, vor diesen Verletzungen und den Fremdbewertungen geschützt zu sein, nicht ständig infrage gestellt zu werden und positive Erfahrungen machen zu können. Sie können sich dort angstfrei über sehr schmerzhafte Erlebnisse austauschen. Durch das Teilen von Erfahrungen merken sie, dass es kein individuelles Problem der Kinder und Jugendlichen ist, sondern gesellschaftliche Zuschreibungen zu einer bestimmten Gruppe. Die Wissenschaftlerin Nkechi Madubuko betont, dass es dabei wichtig sei, „nicht in der Verletzung zu verharren, sondern selbstbestimmt Worte zu finden, sich als Individuum zu entdecken, eigene Wünsche zu formulieren, sich gegenseitig Halt zu geben und ggf. Verletzungen „heilen“ zu lassen“4. Nur so können Schüler:innen Handlungsfähigkeit und -kontrolle erlangen und ihr Selbstbild stärken.

Was muss beachtet werden, wenn geschütztere Räume an Schulen geschaffen werden sollen? 

  • Begleitung der Räume durch eine erwachsene, qualifizierte Person 

Wenn betroffene Schüler:innen über ihre Erfahrungen sprechen, besteht die Gefahr eines Ohnmachtsgefühls. Damit Emotionen aufgefangen werden und sie Handlungsfähigkeit erlangen, ist es empfehlenswert, dass die Räume durch eine erwachsene, qualifizierte Person begleitet und moderiert werden. Aus rassismuskritischer Sicht kann Empowermentarbeit nur von Erwachsenen geleistet werden, die selbst von Rassismus betroffen sind. Jedoch reicht ein alleiniges Betroffensein nicht aus. Es braucht eine Ausbildung, die Kenntnisse über Rassismus als Unterdrückungssystem und empowerndes Wissen vermittelt. Weiterhin darf es nicht darum gehen, dass die Begleiter:innen eigene Erfahrungen mit den Schüler:innen verarbeiten5. Sinnvoll ist auch die Einbindung von kompetenten externen Kooperationspartner:innen, die ein regelmäßiges moderiertes Angebot an der Schule anbieten (wie z.B. SISTERS* in Sachsen). 

  • Vertrauenbasis für emotionale Öffnung

Eine Vertrauensbasis sowohl unter den Teilnehmenden als auch mit der begleitenden Person ist fundamental, um sich emotional öffnen zu können. Abhängigkeits- oder Machtverhältnisse wirken dabei eher störend, weshalb die Räume keine Lehrer:innen begleiten sollten, sondern beispielsweise Schulsozialarbeiter:innen oder externe Kooperationspartner:innen. Um Vertrauen aufzubauen und tiefere Veränderungsprozesse anzustoßen, ist es sinnvoll, eher längere als kurze Treffen zu ermöglichen6

  • Freiwilligkeit und Niedrigschwelligkeit

Die Teilnahme an geschützteren Räumen erfolgt durch Freiwilligkeit und Selbstzuschreibung, d.h. die Teilnehmenden fühlen sich dem Gruppenmerkmal zugehörig7. Wichtig ist, dass keine öffentliche Markierung stattfindet. Freiwilligkeit ist auch deshalb wichtig, da Schulen zwar Räume des Empowerments ermöglichen können, die Schüler:innen sich jedoch nur selbst empowern können. Durch direkte Ansprache einer Vertrauensperson, kann auf das Angebot aufmerksam gemacht werden. Auch können die Zugänge unterschiedlich gewählt werden, z.B. durch gemeinsames Kochen, Kunst-, Sport- oder Musikangebote, die den gemeinsamen Interessen der Teilnehmenden entsprechen. 

  • Räume sind nur geschützter, nicht geschützt

Von Rassismus betroffene Menschen sind Teil der Gesellschaft und haben Diskriminierungsstrukturen ebenfalls internalisiert, weshalb auch innerhalb der Räume rassistische Äußerungen getroffen werden können. Deshalb wird mittlerweile im Sprachgebrauch darauf geachtet, von geschützteren Räumen zu sprechen, da es keine 100-prozentige Sicherheit gibt, nicht verletzt zu werden (Gedanken von Marie Minkov hier). Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Räume von einer qualifizierten Person begleitet werden.

  • Mögliche Methoden8

Innerhalb der geschützteren Räume gibt es vielfältige Empowerment-Methoden, die unterschiedlich mit den offenen und unterdrückten Emotionen arbeiten. Die Wahl der Methoden sollte von den Themen und Fragen der Gruppe abhängig gemacht werden. Hier eine kleine Auswahl:

  • Austausch 
  • Forumstheater 
  • Biographiearbeit (z.B. Geschichte meines Namens) 
  • Körperarbeit 
  • Theaterarbeit 
  • Tanz, bildende Kunst, kreatives Schreiben 

 


Literatur:

Nkechi Madubuko (2021): Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen.  
Das Praxishandbuch richtet sich an pädagogische Fachkräfte und bietet wertvolle, praxisnahe Bezüge, wie Diskriminierungen begegnet werden kann. Die Autorin analysiert, welche Haltung, Reflexion und welches Wissen als Fachkraft unabdingbar ist, um Rassismus zu erkennen und Empowerment zu ermöglichen. Sie verknüpft die Analyse mit Beispielen zur Umsetzung von Empowermentstrategien. Eine Besonderheit in dem Buch ist der Fokus auf Safer Spaces und die Vorstellung von verschiedenen Methoden durch Empowerment-Trainer:innen.

Nkechi Madubuko, Dr. ist u.a. promovierte Soziologin, Autorin und Diversity-Trainerin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Empowerment, Verarbeitung von Rassismuserfahrungen, rassismuskritische Bildung, diversitätssensibler Umgang und Empowerment-Orientierung im Kontext Schule. Ein wichtiger Fokus ist der Umgang mit Rassismuserfahrungen mit Kindern und Jugendlichen. Dazu ist neben dem Praxishandbuch Empowerment auch das Buch „Empowerment als Erziehungsaufgabe (2016) erschienen. 


1 In der Wissenschaft und in politischen Gruppen wird für die genannten Gruppen häufig auch der Begriff BIPoc (Black, Indigenous, and People of Color) verwendet.  
2 In der Fachliteratur wird auch häufig das Wort Safer Spaces verwendet, was das gleiche Konzept meint. 
3 vgl. 2013:14 https://life-online.de/download/2013_broschuere_grassroot.pdf
4 vgl. Madubuku Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen; 2021:161
5 vgl. Madubuku Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen; 2021:160ff
6 vgl. Madubuku Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen; 2021:165
7 vgl. Madubuku Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen; 2021:164
8 vgl. Madubuku Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen; 2021:168ff

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