Louise Weiss Gymnasium in Hamburg

„Diversität wird an unserer Schule mit großer Selbstverständlichkeit gelebt."

„In Vielfalt geeint“ – als Europaschule fühlt sich das Louise Weiss Gymnasium in Hamburg, das seit Anfang des Jahres 2021 am Projekt „Vielfalt entfalten“ teilnimmt, dem europäischen Grundgedanken stark verbunden. Sowohl die Schüler:innenschaft als auch das multiprofessionelle Kollegium sind sehr divers. 650 Schüler:innen, 45 Familiensprachen und noch weit mehr Nationalitäten. Das Thema Sprache ist im Schulalltag und Unterricht allgegenwärtig und spiegelt sich auch in den Entwicklungsvorhaben wider, die im Rahmen des Projekts definiert und umgesetzt werden.


Ayfer Sengül-Loof ist Interkulturelle Beraterin und Lehrerin für Englisch und Sport am Louise Weiss Gymnasium. Gemeinsam mit Sabine Bühler-Otten, IVK-Koordination und Schulleitung, und Hülya Derrien, Lehrerin für Deutsch, Spanisch und Deutsch als Zweitsprache (DaZ), trug sie „Vielfalt entfalten“ im Jahr 2021 an das Schulteam heran. Entlastung und Begleitung waren die zwei Grundgedanken, die sie selbst und auch das Kollegium überzeugten. Seither wird das Projekt vom gesamten Schulteam inklusive Schulleitung getragen und unterstützt. „Wir sind eine sehr diverse Schule. Jegliche Projekte, die sich dem Umgang mit Diversität widmen, sind sinnvoll für uns“, so Ayfer Sengül-Loof. Denn durch neue Projekte könne nicht nur der persönliche Horizont erweitert werden, die  gesamte Schulgemeinschaft profitiere davon. Wie Hülya Derrien ergänzt, hätte sich die Lage an der Schule durch die Corona-Pandemie zudem nochmals verschärft – zulasten von Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Denn durch die Pandemie hätten leider auch einige Schüler:innen Benachteiligungen erfahren: „Der Übergang von Schüler:innen der internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) in Regelklassen musste digital erfolgen.“ Das lief laut der Lehrerin nicht ganz reibungslos: „Einige Schüler:innen mussten wir dadurch auch zurückversetzen.“

Heterogenität im Schulalltag – Chancen und Potenziale

Heterogenität stellt eine enorme Chance für das Schulleben dar, so die beiden Lehrerinnen im Gespräch. Vor allem die sozialen Kompetenzen der Schüler:innen lassen sich dadurch fördern. Wie beide Lehrerinnen schildern, unterstützen sich die Schüler:innen innerhalb des Klassenverbands oft gegenseitig: Leistungsstärkere Schüler:innen stehen Mitschüler:innen mit Lernschwierigkeiten zur Seite, was deren eigene Motivation noch einmal steigert. Gleichzeitig betont Ayfer Sengül-Loof: „Wir arbeiten sehr differenziert.“ Schüler:innen mit Lerndefiziten und Schwierigkeiten erhalten eine gesonderte Förderung, während durch die Differenzierung auch stark darauf geachtet wird, dass leistungsstärkere Schüler:innen nicht im Nachteil sind. Jene Heterogenität, die sich in der Schüler:innenschaft widerspiegelt, wirke sich aber auch positiv auf das Kollegium aus. So berichtet Hülya Derrien davon, dass die Zusammenarbeit und der Austausch untereinander stark gefördert wird. Das wiederum hätte den Effekt, dass die Lehrkräfte auch die Schüler:innenschaft ganzheitlicher im Blick haben. „Wir können dadurch noch besser erkennen, wo die Stärken und wo die Entwicklungspotenziale der Lernenden liegen“, so Ayfer Sengül-Loof.

Konflikte und Spannungen bleiben – bedingt durch jene Heterogenität – nicht gänzlich aus, so Ayfer Sengül-Loof. Sie ergeben sich insbesondere dann, wenn Missverständnisse aufgrund der kulturellen Vielfalt entstehen. Das erlebe sie in ihrer Rolle als Interkulturelle Beraterin häufig. Doch jene Konflikte werden nicht einfach so hingenommen. „Wir haben diesbezüglich Projekte laufen, um solche Konflikte im Vorfeld zu unterbinden oder zumindest ein Verständnis dafür zu schaffen, tolerant zu sein, nicht zu diskriminieren und offen zu sein. Das sind die Dinge, an denen wir arbeiten.“ Dazu gehören auch Gespräche mit Betroffenen und den jeweiligen Klassen.  

„Übergänge brauchen Beziehungen“

Individuelle Förderung hat am Louise Weiss Gymnasium einen hohen Stellenwert. Nicht nur Schüler:innen, die von den internationalen Vorbereitungsklassen in die Regelklassen übergehen, erhalten zusätzliche Förderangebote. Auch in den heterogenen Regelklassen gibt es Schüler:innen, die Unterstützung benötigen – und diese auch erhalten. Übergänge spielen dabei eine wichtige Rolle und werden im Rahmen von „Vielfalt entfalten“ besonders fokussiert. „Uns geht es darum, dass die Kinder erfolgreich in den Regelklassen ankommen und dann auch erfolgreich in die Studienstufe übergehen können“, so Hülya Derrien. Dafür sei es unerlässlich, die eigenen Strukturen und Verzahnungen zu optimieren. Auch dabei helfe ihnen das Projekt der DKJS.

„Sprache ist der Zugang zu dieser Gesellschaft“

Mit ihren definierten Entwicklungsvorhaben nimmt das Schulteam sowohl die Personal-, Organisations- und Unterrichtsentwicklung in den Blick. Im Bereich der Personalentwicklung wurde eine multiprofessionelle Arbeitsgruppe gegründet, bestehend aus Schulleitung, IVK-Koordinatorin, Interkultureller Beratung, Lehrkräften, Sprachlernberater:innen und Sozialpädagog:innen. Zuletzt entwickelte die Arbeitsgruppe gemeinsam ein Handbuch für die Schüler:innenschaft. Bei dem Handbuch handelt es sich um eine Sammlung verschiedener Themen und wichtiger Erklärungen für die einzelnen Klassenstufen. Enthalten sind Fragen wie: Was bedeutet eigentlich ein Projekttag? Wie kann ich daran mitarbeiten? Oder auch: Was ist ein Praktikum? Was gehört alles dazu? Alle Themen und Fragen werden zwar auch im Unterricht behandelt, da die Schüler:innen aber teilweise sehr unterschiedlich in die Klassen stoßen, kann es vorkommen, dass bestimmte Themen verpasst werden und Informationen verloren gehen. Durch das Handbuch soll dem entgegengewirkt und die Schüler:innen unterstützt werden.

Im Bereich der Unterrichtsentwicklung widmet sich die Schule vor allem dem Thema Sprache: „Sprache ist der Zugang zu dieser Gesellschaft. Nur durch eine gut ausgebildete Sprachfähigkeit können Schüler:innen an  Unterrichtsinhalten arbeiten. Deswegen muss der Fokus auf der Sprache liegen“, so Ayfer Sengül-Loof. Zu den konkreten Maßnahmen, die im Rahmen von „Vielfalt entfalten“ bereits umgesetzt wurden, gehört die Entwicklung der 4. Lernstraße zur weiteren Sprachförderung. Diese wird derzeit im Deutschunterricht implementiert und getestet und soll die Lernenden fit für die Studienstufe machen. Auch die Sensibilisierung des Kollegiums für einen sprachsensiblen Fachunterricht hat die Schule als Projektziel für sich definiert. Dafür entwickelt das Schulteam gemeinsam entsprechende Materialien wie beispielsweise ein Glossar.

Die Grenzen von Schulentwicklungsmaßnahmen

Schulentwicklungsprozesse sind nicht frei von Hürden – das bestätigen auch die beiden Lehrerinnen am Louise Weiss Gymnasium. Ayfer Sengül-Loof erklärt dazu: „In der Prozessentwicklung ist uns als Schule durch die Schulbehörde immer auch ein bestimmter Rahmen gesetzt. Einige Dinge kann man aufbrechen, für das Aufbrechen anderer muss man sich stark einsetzen.“ Zu jenen festen Rahmenbedingungen gehört etwa die Unterrichtszeit. Fragen, die das Schulteam dabei u. a. beschäftigen: Wie kann Förderung in der Unterrichtszeit eingebettet werden? Wer bezahlt die Fördermaßnahmen? Welche Fachkräfte können dafür noch eingesetzt werden – und haben diese noch ein Stundenkontigent offen? Und wie lassen sich jene Förderkurse in den Stundenplan integrieren, ohne dass andere Kompetenzkurse gestrichen werden? Gut sei laut Ayfer Sengül-Loof, dass die Schulleitungen in Hamburg durch die Bildungspolitik gewisse Freiheiten erhalten und Arbeitszeiten je nach Bedarf verschieben können. Und das funktioniere bisher auch gut. Ebenfalls gut sei laut der Lehrerin auch die Selbstverständlichkeit für Diversität, die von allen Schulakteur:innen gelebt wird. „Unsere Schule ist so divers, kaum jemand fragt sich ‘Oh, wo muss ich differenzieren? Worauf muss ich achten?’ Vieles muss einfach nicht mehr hinterfragt werden“, so Ayfer-Sengül-Loof abschließend.

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