„Das Zutrauen in die Lehrperson stärkt auch das Zutrauen in einen selbst“

Im Gespräch mit Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu


Hat eine differenzsensible und diskriminierungskritische Haltung von Lehrer:innen einen Einfluss auf den Bildungserfolg und die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen? Ja, sagt Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu im Gespräch. Sie ist Leiterin des Arbeitsbereichs Bildung in der Migrationsgesellschaft/ Interkulturelle Bildung am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen und hat – gemeinsam mit Prof. Dr. Paul Mecheril – unter anderem das Buch „Pädagogik neu denken! Die Migrationsgesellschaft und ihre Lehrer_innen“ veröffentlicht. Wie die Expertin im Interview erklärt, könne eine zugewandte, ermutigende, erwartungsvolle und jedem zutrauende Haltung von Lehrer:innen das Selbstvertrauen, die Selbstwirksamkeit und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bei den Schüler:innen stärken. Dabei verweist sie auf die Studie „Vielfalt im Klassenzimmer“, die der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen für Integration und Migration vor einigen Jahren veröffentlicht hat.

Eine Frage der Haltung

Eine Haltung, die als solche erkennbar, spürbar, sprechbar und vermittelbar ist und die bei den Schüler:innen als eine solche ankommt, sei etwas, womit Lehrer:innen schon sehr viel zu einem bildungsförderlichen, zugewandten und demokratieförderlichen Klima in der Klasse beitragen können, so Prof. Karakaşoğlu. Sie betont: „Die Art, wie ich [als Lehrerin] die Beziehung von Anfang an gestalte zu den Schüler:innen, in der Art wie ich mich als Lehrperson präsentiere und auch gesehen werden […], setzt die Grundlage für alles Weitere.“ Es seit laut Expertin destruktiv, wenn Schüler:innen bei ihren Lehrpersonen eine solch wertschätzende, anerkennende und empowernde Haltung nicht wahrnehmen. Denn dann würden sie auch das Zutrauen in sich selbst und in den Kontext Schule, insbesondere aber in die spezifische Lehrperson verlieren. Und das wiederum wirke sich auch auf die Leistungen und Rückzugsmomente der Schüler:innen aus.

Das eigene Tun reflektieren

Der Lehrer:innenberuf bringe eine hohe Verantwortung und eine ebenso hohe Beanspruchung mit, so die Expertin weiter. Lehrer:innen hätten nicht nur die Aufgabe, Wissen zu vermitteln, sondern bräuchten auch erzieherische Kompetenzen. Damit einhergehend bauen sie auch Beziehungen zu den Kindern und Jugendlichen auf. Dazu sagt die Expertin: „Bei solchen Beziehungen brauche ich [als Lehrer:in] dringend immer wieder Abstand zu mir selbst, weil ich sonst in eine Schleife von Emotionalität und auch von eingeschliffenen Alltagsroutinen komme, die nicht mehr professionell sind.“

Reflexion ist hier das Schlüsselwort. Wie Prof. Karakaşoğlu betont, sei es wichtig, dass sich Lehrer:innen Zeit nehmen, um auch mal einen Schritt zurückzugehen, um auf das eigene Handeln zu schauen, nachzujustieren oder sich selbstkritisch mit der eigenen Arbeit und Haltung auseinanderzusetzen. „Diese Haltung, an der man selbst arbeiten kann, hat sehr viel damit zu tun, welche Beziehung man als Lehrer:in zu seinem eigenen Tun hat und dass man sich immer auch als Lernende:r versteht“, so die Expertin. Reflexion dürfe nicht als ein Hindernis oder Hemmnis in der alltäglichen Arbeit begriffen werden, die Zeit „raube“, sondern als eine notwendige Methode, um als Lehrer:in gut zu bleiben oder besser zu werden. Auch sollten sich Lehrpersonen den Alltagsroutinen nicht ausgeliefert fühlen oder als destruktiv empfundene Routinen hinnehmen, die vermeintlich nicht mehr änderbar sind. Stattdessen sollten sie sich als Mitgestalter:innen einer Schule, einer Klassen- und Schulkultur verstehen, in die man sich aktiv einbringen kann. Dafür sei es jedoch unerlässlich, dass Lehrer:innen ihre eigene Haltung und das Verhalten regelmäßig trainieren, ein fehlerfreundliches Verhältnis zu sich entwickeln und das auch nach außen vermitteln, um anderen Personen die Möglichkeit zu geben, etwas zurückzumelden. Denn im Machtgefüge der Schule dürfe nicht der Eindruck verstärkt werden, dass nur Lehrer:innen unfehlbar seien und Kritik an ihnen ihre Autorität untergrabe. Besonders bei der Beziehung zwischen Schüler:innen und Lehrpersonen sei das wichtig zu verinnerlichen, so die Expertin.  

Methoden der Reflexion

Doch welche Methoden eigenen sich, um die eigene Haltung zu reflektieren und zu schärfen? Einerseits, so Prof. Karakaşoğlu, sollten die an aktuellen Erfordernissen der Lehrer:innenprofessionalität orientierten speziellen Fortbildungsangebote in den Ländern gezielt wahrgenommen werden. In der schulischen Praxis sei darüber hinaus auch die Kollegiale Supervision als eine Methode des Feedbacks sehr zu empfehlen. Bei einer solchen Supervision besuchen sich Kolleg:innen im Unterricht gegenseitig und geben sich anhand von einigen – vorher abgestimmten – Kriterien eine Rückmeldung. Das ließe sich besonders gut dort umsetzen, wo Klassenleitungs- und Jahrgangsteams als Rahmen für vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen etabliert seien. Doch nicht nur innerhalb der Schule sollten solche Supervisionen organisiert werden. Laut Expertin seien auch professionelle Supervisionen mit externer Moderation sinnvoll. Denn diese würden dabei helfen, einen Blick von außen auf die Routinen des Alltags oder als besonders konflikthaft empfundene Themen zu gewinnen.

Doch ob intern organisiert oder mit externer Unterstützung: Was es für solche Reflexionsmethoden vor allem braucht, seien zeitliche und personelle Ressourcen. Und dafür müsse sich auch strukturell und seitens der Bildungspolitik einiges ändern. Wie die Professorin betont, brauche es bessere Rahmenbedingungen – beispielsweise in Hinblick auf die Arbeitszeiten von Lehrer:innen. Denn Reflexion zu leisten, Supervisionen wahrzunehmen oder Fortbildungen in Anspruch zu nehmen, sei ein wichtiger Teil von Arbeitszeit. Ebenso brauche es laut Prof. Karakaşoğlu mehr verpflichtende Fortbildungen, die auf eine fortwährende Bildung und Professionalisierung von Lehrer:innen einzahlen – insbesondere für Lehrpersonen, die schon lange im Dienst sind. Denn wie die Expertin weiter erklärt, verändere sich im Laufe des Schuldienstes nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Rahmenbedingungen, Themen und Lernformen in und an Schule. Lehrer:innen müssten laut Expertin die Möglichkeiten bekommen, sich kontinuierlich fortzubilden – und dürften damit nicht allein gelassen werden.

Wenn Sprache diskriminiert

Auch die Auseinandersetzung mit Sprache ist ein wichtiger Teil von Reflexion. Denn Sprache besitzt nicht nur ein großes Machtpotenzial, sie schafft auch Wirklichkeiten. Lehrer:innen sollten sich dessen immer bewusst sein: Auch wenn man es nicht möchte, kann man Dinge sagen, die andere Personen verletzen. Das gilt auch für Lehrmaterialien. Oftmals enthalten diese noch immer diskriminierende Inhalte und Abbildungen oder falsche Darstellungen von historischen Kontexten. Wie die Expertin betont, sollten sich Lehrer:innen damit kritisch und wachsam auseinandersetzen und offen an die Schüler:innen kommunizieren, wenn sie kritische Inhalte erkennen. Dabei sei es laut Expertin auch von zentraler Bedeutung, den Schüler:innen deutlich zu machen, dass sie sich in einem geschützten Raum befinden. Lernenden, die sich durch Darstellungen in Lehrwerken verletzt fühlen, sind dem nicht ausgeliefert. Lehrer:innen sollten den Lehrbuchverlagen schreiben, wenn sie falsche oder diskriminierende Inhalte erkennen und diese nicht einfach hinnehmen, so die Expertin. Denn aus eigener Erfahrung weiß sie, dass solche Briefe von den Verlagen sehr ernst genommen werden. Hier gilt: Sich nicht als Einzelämpfer:in zu verstehen, sondern sich in der Schule in einer Gruppe zusammenzuschließen. „Man ist dem nicht ausgeliefert, man kann etwas mitverändern“, so Prof. Karakaşoğlu.

Wenn es um Sprache im Unterricht geht, seien auch Regeln des Umgangs miteinander wichtig, so die Expertin. Das gelte auch für die jeweilige Lehrperson. „Es geht ja immer darum, dass Schüler:innen Regeln des Sprechens mit- und übereinander etwa in der Klasse oder auf dem Schulhof beherzigen sollen – das ist aber eine Anforderung, die genauso für Lehrer:innen gilt“, erklärt die Expertin. Wichtig sei, dass die Vereinbarung nicht von oben aufgedrückt, sondern dass diese gemeinsam geschaffen wird und als solche auch verbindlich für alle ist – auch wenn das Gesagte nicht böse gemeint war. „Wir wissen, dass das, was nicht böse gemeint ist, aber sehr böse ankommen kann. Und dass die Verletzung, auch wenn sie nicht böse gemeint ist, sehr scharf und sehr schlimm sein kann und der:die Verursacher:in dafür aber auch verantwortlich ist“, so Prof. Karakaşoğlu. Lehrer:innen wie Schüler:innen müssen also auch Verantwortung für Nicht-Gemeintes übernehmen. 

Die Rolle der Schulleitung in reflexiven Prozessen

Eine wichtige Rolle, um Reflexion auch strukturell an Schule zu verankern, nehmen die Schulleitungen ein, so Prof. Karakaşoğlu. Denn sie öffnen die Wege für Perspektiven und können reflexive Prozesse aktiv fördern. Beispielsweise indem sie regelmäßige Foren, pädagogische Tage oder auch schulinterne Fortbildungen initiieren, zu denen auch Expert:innen von außen eingeladen werden und in denen sich die Kolleg:innen nicht nur als passive Teilnehmende sondern als Mitgestalter:innen verstehen. Die Expertin sagt: „In dem Moment, wo Mitglieder:innen der Schule das Gefühl haben: ‘Was ich hier in dieser Schule mache, das interessiert nicht nur mich selbst, sondern auch die anderen und das bringt uns alle gemeinsam voran’ – so ein Klima zu schaffen, dafür ist Schulleitung sehr essenziell.“ Weiter erklärt sie jedoch auch: „Das heißt nicht, dass eine Person an der Spitze der Schule alles lösen muss, sondern dafür auch entsprechende Strukturen entwickelt, in der sie solche vertrauensvollen Lösungsfragen auch an andere Ebenen abgeben kann.“  Auch hier sei Teamorientierung gefragt.

Doch was können Lehrer:innen tun, die keine unterstützende Schulleitung hinter sich wissen? Zunächst sei es laut Prof. Karakaşoğlu wichtig, dass sich Lehrer:innen auch hier nicht als Einzelkämpfer:innen verstehen, sondern Mitstreiter:innen finden, mit denen sie ein Thema gemeinsam bewegen können: „Gibt es Kolleg:innen, die eine Pressure-Group darstellen und die gemeinsam die Schulleitungen überzeugen können? Gibt es hier einen empowernden Common Sense mit Kolleg:innen im Jahrgangsteam, im Fachgruppen-Team?“ Laut Expertin sei es dann, wenn zunächst keine Unterstützung durch die Leitung erwartbar ist, sinnvoll, zunächst in kleineren Organisationseinheiten einer Schule zu agieren und das Anliegen dann schrittweise in die Breite zu tragen – und so die Schulleitungen zu gewinnen. Wichtig sei auch hier die Haltung: Sich nicht als allwissende Person zu verstehen, die nur Kritik äußern möchte, sondern stattdessen als eine lernende Person, die sich bei der Lösung des Problems einbringen möchte, den Willen zur Mitgestaltung hat und dem Thema gegenüber konstruktiv eingestellt ist.  

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